Mir total taugen

Allgemein, Andrea fragt 18. April 2015

4. März 2015

Liebe Maria!
Nachdem ich zwei Beiträge für unseren Blog formuliert hatte – und die „Untauglichkeit“ hinsichtlich Veröffentlichung außer Frage steht, habe ich erst einmal ein paar Tage nachgedacht (viel), geschmollt (ziemlich), gejammert (ein bisschen) und mich geärgert (ganz schön). Heute sitze ich an der Tastatur und nehme einen neuen Anlauf.

Trau ich mich etwa gar nicht, nicht mehr die Andrea zu sein, die auf zack ist, die in einem Mordstempo über die Piste brettert und – wie gewohnt – alles Mögliche schon hinkriegen wird? In der gewohnten Art kann ich nicht mehr weitertun, denn es sind die Grenzen bereits vorgezeichnet. Der Körper tut nicht mehr so mit, die Strecken, für die ich mit meinem Tank auskomme, werden auch deutlich kürzer als „früher“.

Weißt du was ich möchte?
Ich möchte weiter sehen und fühlen als Erkenntnisse im Kopf. Weiter als ein theoretischer Sager über Selbstliebe. Ich möchte mich ganz ganz verbunden fühlen mit „Ich tauge mir total“ und „Ich steh auf mich“ und „Ich lieb´ mich“. Wie die Krokuszwiebel unter der Erde, die ihre ersten Keime durch die dünne Schneedecke streckt und bei Frost, Sturm und Wind wächst und wächst…
Diese Zwiebel muss sich ja wirklich total taugen, oder?

Bitte jetzt nicht vor den Spiegel stellen und mir was Schönes ins Gesicht sagen müssen.
Was könnt´ ich sonst noch tun?

Einen lieben Herzgruß,
Andrea

 

Liebe Andrea,

heute ist der 17. März und ich bin wieder da. Genau genommen bin nicht „ich“ wieder da, weil ich nicht mehr die bin, die ich war, bevor ich abgetaucht bin in ein Land aus Schmerzen, Angst und heilsamem Nichts. Oder medizinisch ausgedrückt: Eine verpatzte Zahnoperation hat mir eine Reihe an Komplikationen beschert.

Ich bin eine Überlebende. Medizinisch gesehen. Aus der Sicht des Wandels schaut’s ein bissel anders aus: Ich habe mich an einen Ort geführt, den du anhand der Frage „weißt du, was ich möchte?“ beschreibst. Mein Körper hat mich dorthin begleitet. Wie? Sehr eindrucksvoll und höchst erfolgreich. Während ich mit Medikamente-Einnehmen und Ausruhen beschäftigt war, begannen uralte Ängste aus meinen Zellen zu kriechen, die mich mit meinem Vater verbunden hatten, und die Teil meines Lebensgrundgefühls geworden waren. Seine Angst vorm Tod hatte sich offensichtlich auch in meinem Körper eingenistet und mir das Motto “Für Leichtigkeit muss man sich anstrengen!” beschert. Was ich für “festen Boden” gehalten hatte, kam mit einem Mal in Bewegung, wurde zu Schlamm und begann, mit der Trauer und den Tränen abzufließen.

Wandel pur. Heftig und schön zugleich. „Was habe ich dazu beigetragen?“, frage ich mich gerade. Ich habe die Angst angenommen, auch wenn es mir nicht leichtfiel. Versuche, sie anderen zuzuschreiben, schlugen (leider) fehl. „Missbrauch!“ tönte es in mir, „Hör auf, andere zu missbrauchen! Es reicht, dass es dir passiert ist! “. So oft es mir möglich war, habe ich mich darauf konzentriert, wie ich mich fühlen möchte. So, dass diese neuen Gefühle größer waren als mein Körper und seine Erinnerungen. Immer wieder! Und last but not least war ich überzeugt davon, dass alles einem guten Zweck dient, auch wenn er mir streckenweise ganz abhanden gekommen ist. Nicht mehr an den „festen Boden“ zu glauben, genauso wenig wie an „Tod und Verderben“ heißt die Übung. Oder anders formuliert: JEDEM Drama widerstehen.

 Liebe Grüße
Maria